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Sie gingen zu dritt: Victoria, Georg und der Mops. Vor Jahren hatte Victoria dem Hund den Namen ihres Mannes gegeben, weshalb ihn Georg selbst wiederum nur „Mops“ nannte. Und sie sprach beide mit der gleichen Liebenswürdigkeit an. Während Georg selbst dabei keinerlei Unterschied, nicht einmal den Hauch einer Veränderung ihrer Stimme, ausmachen konnte, so wusste der Mops doch stets, wer gemeint war. So etwas können Männer nicht verstehen.

Zügig, Mops voran, durchquerten sie die Straßen. Victoria machte eilige Gesten, weil Georg ein wenig zu bummeln schien. Es war Samstag. Es gab viel zu sehen und alles war neu für ihn. Sie wohnten erst seit einem knappen Monat in der Stadt. Victoria war hier aufgewachsen. Erst spät, mit fast dreißig Jahren war sie von hier aus aufgebrochen. Sie hatte studiert, Georg geheiratet und mit ihm zusammen zwei sehr glückliche Jahrzehnte verbracht. Doch ganz leise hatte sie dann seit Jahren immer wieder anklingen lassen, dass sie sich durchaus vorstellen könne, den Lebensabend in Ihrem Geburtsort zu verbringen. Ganz sachte hatte sie diesen Wunsch immer wieder angebracht. So wie man fast unhörbar stöhnt, wenn der Andere eine Last nicht entdeckt, die einem auf der Seele liegt. So lange und so klug hatte sie ihr Ziel verfolgt, dass Georg am Ende das Gefühl hatte, er selbst und niemand anderes sei auf die Idee gekommen, in diese Stadt zu ziehen. Und das, obwohl ihm zeitlebens nichts ferner gelegen hatte als der ruhige Pulsschlag dieser Provinz. Deshalb, vielleicht gerade deshalb, genoss er jetzt noch das Neue an den Straßen und an den Menschen. Wenn Victoria nicht hinsah, stupste er den Mops mit den Schuhspitzen an und pfiff leise vor sich hin. Ja, unser Georg war das Vergnügen selbst und das sollte ihm bald vergehen.

Eilig führte Victoria das Trio nun über einen grob gepflasterten Markt, seitlich an einer Kirche mit Zwillingstürmen vorbei und hinein in ein Geflecht aus engen und steilen Gassen. So anders schienen Georg auf einmal die kleinen Häuser, als wären sie plötzlich in einer fremden Stadt. Dann blieb Victoria stehen.
»Wir sind da«, sagte sie leise. Und Ihre Wangen waren leicht gerötet.

Das Geschäft hatte zwei große Schaufenster. In der Auslage fand sich Geschirr und ähnlicher Hausrat. Alles nicht sehr alt, aber auch nicht mehr ganz neu. „Käthe Vierkorns Schatztruhe“ stand auf zwei Schildern über den Schaufenstern, „Ankauf Montag & Samstag“. Auf dem Putz darüber konnte Georg noch Teile der ursprünglichen Schrift erahnen: „Fa. Vierkorn – Kolonialwaren“. Sie traten ein.

So klein das Haus von außen gewirkt hatte, so überrascht war Georg von seiner inneren Dimension. Der Fußboden bestand aus einer festgetretenen, lehmartigen Masse und der Geruch im Raum erinnerte an den einer alten Kirche. Der Mops schnüffelte wichtig herum. Victoria hatte ihren Mann stehen lassen und sich den zahlreich vorhandenen Möbelstücken zugewandt. Um nicht einfach wie eben jene Möbel im Raum zu stehen, suchte sich Georg ein zum Zeitvertreib geeignetes Objekt und fand es in Gestalt einer Vitrine mit Porzellanfiguren. Ein suchender Blick hinüber zu seiner Frau blieb ohne Antwort. Victoria sah sich mit dem Mops zusammen verschiedene Schränke an und prüfte deren Beschaffenheit. Sie hatte ihren Pelzkragen zurückgeschlagen und fächelte sich hin und wieder mit einer Postkarte Luft zu. Sie erschien Georg auf eine ungewöhnliche Art und Weise erregt. Und ihm schwante, dass eine langwierige Verhandlung in der Luft lag. Er widmete seine Aufmerksamkeit wieder den kleinen Porzellanfiguren und zwinkerte ihnen zu. Er zwinkerte in letzter Zeit überhaupt recht häufig und zwar mit beiden Augen gleichzeitig. Das sah recht ungewöhnlich aus, etwa wie wenn jemand unablässig niest. Georg selbst bemerkte es nicht. Er sah durch die Vitrine hindurch und zwinkerte weiter - erst vor sich hin und dann in ein Gesicht hinein. Er erschrak fürchterlich. Dabei war es ein sehr hübsches Gesicht. Es war das Gesicht von Frau Vierkorn.

„Guten Tag, was kann ich für sie tun?“, Frau Vierkorn war um die Vitrine herumgehuscht und stand vor dem nun verunsicherten Georg. Der nickte nur verlegen und deutete wortlos, aber dafür mit beiden Armen gleichzeitig hinüber zu seiner Frau, dem Mops und den Möbeln. Frau Vierkorn ging auf Victoria zu und streckte ihr die Hand entgegen. Victoria sprach leise mit dem Mops und begann zu lächeln. Offensichtlich waren sich die Damen nicht fremd. »Ich freue mich außerordentlich, sie wiederzusehen, Victoria. Das muss aber gut und gerne zwanzig Jahre her sein!«
„Zweiundzwanzig, Frau Vierkorn“, sagte Victoria eifrig und ergriff Frau Vierkorns Hand. Dann sah sie hinüber zu Georg.
»Darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen? Sein Name ist Georg.«
»Angenehm!«
»Ganz meinerseits!«
Frau Vierkorn wirkte auf Georg wesentlich appetitlicher als es ihr leicht antiquierter Vorname hätte erahnen lassen. Sie erschien ihm flink, wach und ausgesprochen vital. Zudem hatte sie die Gabe des unschätzbaren Alters. Alles zwischen vierzig und um die fünfundfünfzig hätte ihr gerecht werden können. Georg gefielen Frauen wie Frau Vierkorn. Und er gefiel ihr auch.

Die beiden Damen begannen nun ein schier endloses Gespräch über die Vergangenheit. Frau Vierkorn gab Victoria einen kurzen Abriss über die wichtigsten Ereignisse der letzten zwanzig Jahre. Es fielen hundert Namen, von denen Georg nicht einen einzigen kannte. Familienzweige wurden ausgebreitet und mit dem geistigen Finger nachgezeichnet. Und für eine Weile verloren sich die Frauen in eine Welt, die Georg ebenso fremd war, wie das Innere des Vatikans. Längst hatte er alle Geheimnisse der Vitrine erkundet und bewegte sich nun schon beinahe forsch im Raum umher. Ab und an tangierte er Victoria auf seinem Streifzug, wobei er allerdings kaum wahrgenommen wurde, nicht einmal vom Mops. Die einzige kurze Abwechslung bot der Lieferant eines Bauernmarktes, der mehrere Ladungen mit Kartoffeln und Möhren auf einem Sackkarren durch den Laden bugsierte. Vom Laufen ermüdet, setzte sich Georg schließlich auf einen mit Samt gepolsterten Stuhl, um das Gespräch aus der Ferne zu beobachten und gleichzeitig ungestört sinnieren zu können. Sein Blick ruhte auf Frau Vierkorn. Er fühlte sich ein wenig gelangweilt. Unterdessen ging die Unterhaltung weiter. Manchmal lachten die beiden Frauen leise auf. Später schien das Gespräch sachlicher zu werden, zwei- dreimal sahen beide unvermittelt hinüber zu Georg, worauf der ihnen freundlich zuzwinkerte, natürlich mit beiden Augen. Hin und wieder nickte Victoria Frau Vierkorn entschlossen zu. Dann leitete sie offensichtlich das eigentliche Verkaufsgespräch ein. Sie war mit Frau Vierkorn an einen außergewöhnlich gut erhaltenen Bauernschrank herangetreten. Immer wieder legte sie ihre Hand an das Holz und stellte Fragen an Frau Vierkorn, die diese geduldig beantwortete. Der Mops verfolgte das Gespräch mit den Augen. Schließlich sah Victoria Frau Vierkorn voller Entschossenheit ins Gesicht und die beiden Frauen besiegelten ihr Geschäft mit einem Handschlag. Georg hatte sehr wohl den eigenartigen Gesichtausdruck seiner Frau bemerkt. Aber er hatte ihn nicht verstanden.

»Und, Victoria, sie möchten ganz gewiss keinen anderen Mann, sondern den Schrank?“
»Ja, Frau Vierkorn, ganz gewiss. Ich habe mir das gut überlegt. Ich möchte über den Herbst renovieren. Da stört ein Mann ja doch nur. Und einsam bin ich ja auch nicht mit meinem kleinen Hundefreund hier. Nein, Frau Vierkorn, im Moment möchte ich lieber den Schrank. Ganz bestimmt.“
Frau Vierkorn lächelte. »Vielleicht ist das wirklich die beste Entscheidung. Ihr Georg ist ja noch ganz gut in Schuss und ein gleichwertiger Ersatz ist im Moment schwer zu finden. Vor dem Winter werden viele Männer in Zahlung gegeben, bei denen man sich gar nicht so sicher ist, ob sie die Kälteperiode gut überstehen. Dabei tun wir wirklich alles Menschenmögliche, um sie über den Jahreswechsel frisch zu halten. Aber es gibt natürlich schon so eine Art Saison für gute Männer. Ich kann mich gerne bei Ihnen melden, wenn ich ein interessantes Stück herein bekomme. Hat es denn bis zum Frühling Zeit, Victoria?«
»Oh ja, natürlich. Selbstverständlich, Frau Vierkorn. Bis zum Frühling hat es sicher Zeit...«
»Gut. Möchten sie ihren Georg vielleicht über das Wochenende noch einmal mit nach Hause nehmen? Ich könnte ihn am Montag ganz diskret abholen lassen.«
»Oh, das mit dem Abholservice war mir neu, Frau Vierkorn. Offen gestanden: ich habe gar kein Fleisch für Sonntag eingekauft. Und seine wichtigsten Medikamente hätte ich dabei. Könnte ich ihn eventuell doch gleich hier lassen? Natürlich nur, wenn es keine Umstände macht!«
»Nein, nein. In keinster Weise...«, sagte Frau Vierkorn leise. Und wie in Zeitlupe drehten sich die beiden Damen zu Georg um und lächelten ihn an.

Und sein Zwinkern hörte auf.




© 2004 Christoph Krumbiegel